Club der weitgehend unbekannten Reformator/innen (CWUR), Folge 3: Katharina Schütz

Katharina Schütz war gerade einmal 15 Jahre jünger als Martin Luther – und doch hatte bereits die als ‚Reformation‘ bezeichnete Umwälzung, die von Luther maßgeblich ausgelöst worden war, nicht nur ihr ganz persönliches Leben, sondern auch die Lebensumstände in Europa insgesamt grundlegend verändert. Am Beispiel von Katharina Schütz kann man sehen, mit welcher Rasanz angesichts der gegebenen Kommunikationsmöglichkeiten Luthers Ideen eine ganze Welt auf den Kopf stellten. Anstatt zu einer papsttreuen Christin zu werden, die von den Inhalten der katholischen Theologie aufgrund der Dominanz des Lateinischen wenig verstand, und anstatt ein übliches bürgerliches Leben zu führen, wurde Katharina Schütz nicht nur Luther-Anhängerin, sondern auch schreibende Theologin und eine der ersten Ehefrauen in einem Pfarrhaushalt. Ein Leben mithin, das in mehrfacher Hinsicht mit den zeitgenössischen Normen brach.

Katharina Schütz (1498-1562) entstammte einer Straßburger Bürgerfamilie, war das fünfte von zehn Kindern und erfuhr eine recht gute Schulausbildung, so dass sie des Lesens und Schreibens mächtig war. Latein blieb ihr als Gelehrtensprache allerdings ein Leben lang verschlossen. Schon als Kind hatte sie sich durch eine große Frömmigkeit ausgezeichnet und sich grundsätzlich darauf vorbereitet, ein Leben in Keuschheit zu verbringen.

Luthers Theologie veränderte ihr Weltbild grundlegend. Als Matthäus Zell Priester am Straßburger Münster wurde und ab 1518 im Sinne Luthers zu predigen begann, lösten sich die Ängste von Katharina Schütz um ihr Seelenheil sowie der empfundene Zwang, beständig Gutes tun zu müssen, auf und verwandelten sich in ein grundlegendes Vertrauen in einen gnädigen Gott. Aufgrund dieser Erfahrung widmete sie sich nicht nur dem Studium von Luthers Schriften, sondern setzte sich vor allem intensiv mit der Bibel auseinander. Sie erarbeitete sich differenzierte theologische Kenntnisse, die später Grundlagen ihrer Schriften werden sollten.

Bereits 1523 beging sie den nächsten Tabubruch, der in ihrer Umgebung sicherlich nicht nur gutgeheißen wurde. Sie heiratete Matthäus Zell. Die beiden gründeten einen der ersten protestantischen Pfarrhaushalte. Diese Ehe scheint wirklich eine Partnerschaft auf Augenhöhe gewesen zu sein, und Zell schätzte wohl die Fähigkeiten seiner Frau, auch theologisch Position beziehen zu können. Katharina Schütz Zell verfasste in ihrem Leben sieben Texte, von denen fünf auch gedruckt wurden. Darunter finden sich Trostschriften, Polemiken, Predigten und Meditationen.

Wie andere Frauen, die in der Reformationszeit öffentlich hervortraten oder eher unfreiwillig von anderen in das Licht der Öffentlichkeit gerückt wurden, musste sich auch Katharina Schütz Zell verschiedener Anfeindungen erwehren. Sie wurde nicht nur wegen ihrer Heirat mit einem Geistlichen, sondern auch aufgrund ihrer theologischen Äußerungen und ihres Engagements für die Straßburger Gemeinde angegriffen – und diese Angriffe erfolgten selbstverständlich, so muss man feststellen, weil sie eine Frau war. Besonders bitter dürfte es für sie gewesen sein, als sich Ludwig Rabus gegen sie wandte. Rabus war nicht nur der Nachfolger ihres Mannes im Straßburger Predigeramt, sondern auch ihr Pflegesohn. 1556 verließ er Straßburg, um einen angeseheneren Posten in Ulm anzutreten. Seine Straßburger Gemeinde fühlte sich im Stich gelassen, und die Pflegemutter übernahm die Aufgabe, sich per Brief an Rabus zu wenden und um eine Begründung für sein Verhalten zu bitten. Die Antwort war wenig freundlich und von deutlicher Misogynie gekennzeichnet: Katharina Schütz Zell sei eine Häretikerin und Abgefallene und habe ihrem Mann und der Kirche nur Schaden zugefügt.

Ähnlich wie nach ihrer Hochzeit musste sie sich auch in dieser Situation wieder rechtfertigen – und zwar als Frau. Es ist nicht zu bestreiten, dass die Reformation Grundlagen gelegt hat, damit sich das Verhältnis der Geschlechter zueinander verändern konnte. Insbesondere Pfarrhaushalte werden hier regelmäßig als aussagekräftige Beispiele herangezogen, um zu belegen, dass der Frau in der Partnerschaft protestantischen Typs eine größere Verantwortung und Eigenständigkeit zuwachsen konnte. Und Katharina Schütz Zell ist hierfür ein eindrückliches Beispiel. Ohnehin wird im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 die Rolle von Frauen in großem Maß betont. Es werden alle medialen Möglichkeiten genutzt, um zu belegen, von welcher Bedeutung Argula von Grumbach, Wibrandis Rosenblatt, Elisabeth von Calenberg-Göttingen und die vielen anderen Frauen waren, die im Prozess der Reformation auf verschiedene Aufgaben übernommen hatten. Ohne Frauen keine Reformation – so lautet das nicht selten gezogene Fazit entsprechender Bemühungen.

Aber so verständlich entsprechende Thesenbildungen und Schwerpunktsetzungen aus der Perspektive des frühen 21. Jahrhunderts auch sein mögen, sie schweben immer in der latenten Gefahr, entweder trivial oder verharmlosend zu werden. Trivial wird es, weil man sich recht schnell darauf einigen kann, dass weder die Reformation noch sonst irgendetwas in der Welt der Menschen ohne Frauen möglich wäre. Verharmlosend wird es allerdings, wenn man mit 500 Jahren Verspätung so tut, als seien die Frauen gleich bedeutend, gleich einflussreich und gleichberechtigt mit den Männern gewesen. Das waren sie nicht. Wir haben der Reformation nicht die Gleichstellung der Geschlechter zu verdanken. Vielmehr hat sich in und durch die Reformation die fundamentale Ungleichheit und das auch rechtlich fixierte Machtgefälle zwischen den Geschlechtern nur ein wenig verschoben. Dass die Frau dem Mann untergeordnet blieb, daran hat sich grundsätzlich nichts geändert. Deswegen muss man auch weiterhin feststellen, dass die Reformation eine Männerangelegenheit war. Sie war aber nicht deswegen eine Männerangelegenheit, weil Frauen nicht dazu in der Lage gewesen wären, am reformatorischen Diskurs teilzunehmen – Katharina Schütz Zell beweist (gemeinsam mit zahlreichen anderen) das Gegenteil –, sondern weil sie von vornherein systematisch davon ausgeschlossen wurden. Frauen wurden von Bildungseinrichtungen ferngehalten, von politischen Ämtern und von gesellschaftlichen Positionen, die es ihnen ermöglicht hätten, auf die Reformation größeren Einfluss auszuüben. Die Gegenbeispiele können nur dazu dienen, diese Regel zu bestätigen – und müssen uns im Nachhinein umso größeren Respekt abnötigen, weil sie sich trotz dieser ausschließenden Grenzziehungen reformatorisch betätigt haben.

Wenn ich also die nicht allzu gewagte These aufstelle, dass die Reformation eine Männerangelegenheit war, dann erstens, um nicht gegenwärtige Ideale des Geschlechterverhältnisses um ein halbes Jahrtausend nach hinten zu projizieren und dadurch verfälschende Wunschbilder aufscheinen zu lassen; und zweitens, um diese Männerdominanz zu einem Ausgangspunkt kritischer historischer Befragung zu machen, die Ungleichheit nicht dadurch verdeckt, dass sie die Bedeutung von Frauen im Nachhinein möglichst groß macht, sondern viel eher die Gründe und die Formen der Ungleichheit analysiert. Es geht daher um den Verzicht auf eine nachträgliche Verbesserung der Vergangenheit für gegenwärtige Zwecke.

 

NB: Die Arbeit des „Clubs der weitgehend unbekannten Reformator/innen“ wird maßgeblich unterstützt durch das empfehlenswerte Buch von Irene Dingel/Volker Leppin (Hg.): Das Reformatorenlexikon, 2. Aufl. Darmstadt 2016. Dort ist auch der Beitrag von Elsie McKee zu finden über Katharina Schütz Zell, dem der vorliegende Eintrag wesentliche Informationen verdankt.

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