LuttaDada 5

Man mag es für möglich halten oder nicht, aber selbst ein LuttaDada muss Leib und Magen zusammenhalten. Ganz recht, das LuttaDada schmaust und speist und mampft – und zwar recht gerne, wie man anhand der leiblichen Fülle erkennen kann, die auf so vielen hundert Bildern aus der Werkstatt des CranachDada dokumentiert ist. Aber inzwischen fällt es dem LuttaDada nicht mehr leicht, zu entscheiden, was es essen soll. Es gibt nicht nur so viel, es gibt auch so viel Falsches, und zwar Falsches, das als solches nur schwer zu erkennen ist. Zum Beispiel Teigwaren. Welch köstliches Exempel menschlicher Ingeniösität! Und was kann man damit alles falsch machen.

Thomas Pforte von der Wittenberger Werbeagentur S. Pforte hatte beispielsweise die großartige Idee, das Antlitz des LuttaDada in Hartweizenteigwarenform zu bannen, um Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, dieses Produkt unter Zuhilfenahme kochenden Wassers der Bissfestigkeit zuzuführen und anschließend zu verspeisen. Ein dadaistischer Akt par excellence!

Die Gutting Pfalz-Nudel GmbH mit Sitz in Großfischlingen – wie man nicht gesondert erwähnen muss, der unangefochtene Marktführer im Segment Designnudeln – kam auf die gleiche Idee. Großartig! Eine dadaistische Parallelaktion! Oder liegt hier ein Fall von Produktklau vor? Die Wittenberger „Luther-Nudel“ und die pfälzische „Pasta Martin Luther“ sehen sich auf jeden Fall täuschend ähnlich. Es wird zu einem Rechtsstreit kommen, bei dem gänzlich undadaistisch entschieden werden soll, wer in dieser Angelegenheit Originalität für sich beanspruchen kann.

Sollte das Nudelgericht also aufgrund juristischer Differenzen vorerst ausfallen müssen, lässt sich alternativ auf die Tütensuppe zurückgreifen. Heinz Wulf und Karolina Huber aus der Schweiz hatten wohl den ganz starken Eindruck, das Reformationsjubiläum sei zu kopflastig und gerate zu intellektuell (seltsam, gerade diesen Eindruck hatte das LuttaDada bisher eigentlich nicht), es müsse vielmehr hinaus zu ‚den Menschen‘, zu denjenigen, die nicht ins Museum gehen und nicht den wissenschaftlichen Vorträgen lauschen. Wulf und Huber wollten die frohe Botschaft an alle verbreiten, Und was bietet sich da eher an als Tütensuppen!

So kann man jetzt in der Migros, der größten Supermarktkette der Schweiz, Tütensuppen käuflich erwerben, auf denen Comic-Versionen der Reformatoren Calvin, Luther und Zwingli prangen, jeweils versehen mit einem lateinischen Lehrspruch aus der sola-Reihe: sola fide, sola gratia, sola scriptura. Da kann das LuttaDada doch nur applaudieren, wenn die zentralen Aussagen Martin Luthers nun auch noch den anderen Reformatoren untergeschoben werden. Eine gewisse Kopflastigkeit täte dem Reformationsjubiläum also doch ganz gut, zumindest bevor man den falschen Personen die falschen Zitate auftütet.

Möchte man sich nach all diesen Beschwernissen des Verdauungssystems etwas Gesundes gönnen, könnte der herzhafte Biss in einen frischen Apfel das Richtige sein. Und wenn schon, dann doch gleich ein Martin-Luther-Apfel. Aber halt, nicht ganz so schnell, erst muss der Martin-Luther-Apfelbaum gepflanzt werden, wie er von der Barnimer Baumschule angeboten wird. Wen kümmert’s, dass gar nicht klar ist, ob Luther jemals den Satz von dem Apfelbäumchen und dem Weltuntergang gesagt hat, gut luttadadaistisch kann man ja trotzdem was draus machen. Und um der bedeutungsschwangeren Symbolik noch die Baumkrone aufzusetzen, sollen es auch genau 95 Bäume sein, um gebührend an die Dada-Thesen gegen den Ablass zu erinnern und reformatorische Überzeugungen auch in der Gegenwart wurzeln zu lassen. Das war dem LuttaDada gar nicht klar, dass es den Ablass immer nicht gibt und dass man immer noch gegen ihn kämpfen muss. Wie auch immer, jeder der 95 Bäume kommt mit einer von Luthers Thesen daher. Man kann sich sogar seine Lieblingsthese aussuchen! Baum plus These plus Projekt-Zertifikat kosten in der limitierten Reformationsserie 500 €.

Und was darf zum Schluss unserer kulinarischen LuttaDada-Reise nicht fehlen? Das deutscheste aller Lebensmittel, das einem bei übermäßigem Genuss auch das Leben verkürzen kann, das Bier. Lutta-Dada-Biere waren hier schon einmal Thema, nun hat auch die Gemeinde Homberg nachgelegt. „Reformator“, so heißt das Ergebnis, das nicht als Bier, sondern – gut antiquarisch – als „Gerstentrunk“ bezeichnet werden will. Wohlan!

Und warum wird im Namen des LuttaDada ein solches Gebräu hergestellt? Nun, aus dem gleichen Grund, aus dem es den ganzen anderen Dada-Nippes gibt – um das Thema der Reformation endlich einmal aus den verstaubten Büchern und den langweiligen Hörsälen herauszuholen, um es den Museen und den Spezialisten zu entreißen und endlich zu ‚den Menschen‘ zu bringen. Lasst uns über die Reformation lernen beim Tütensuppenschlürfen und Biersaufen. Das LuttaDada ist sich sicher, dass all die Seelenheilsuchenden dort draußen bei ihrem verzweifelten Umherirren, dass all die Beladenen beim Flehen um einen gerechten Gott nach der einen oder anderen Flasche „Reformator“ endlich finden werden, wonach sie so lange gesucht haben.

Bei all diesen wichtigen, ernsthaften und tiefgründigen Aktionen, die der Sache des LuttaDada dienen sollen, kommt dem solcherart Geehrten zuweilen doch ein schlimmer Verdacht. Könnte es sein, dass es vielleicht doch nicht nur um die ernsthafte Verbreitung des LuttaDadaismus geht? Diesbezüglich äußerte sich Astrid Mühlmann, Geschäftsführerin der staatlichen Geschäftsstelle „Luther 2017“. Sie behauptet, das LuttaDada sei ein „Geschenk für Marketingexperten“. Es stehe nämlich nicht allein für die Reformation, sondern habe zusätzlich alles, was einen „spannenden Werbeträger“ ausmache. Das LuttaDada habe, so Mühlmann, einprägsame Bilder produziert (Thesen mit Hammer an Tür nageln – und zwar live und in Farbe!), habe eine spannende Geschichte hingelegt (Kirche spalten, Nonnen heiraten, Teufel mit Tinte bewerfen) und sei durch einen zerrissenen Charakter geprägt gewesen.

Das LuttaDada muss zugeben, dass es das nicht geahnt hat. Eigentlich wollte es gut dadaistisch nur ein wenig die angenommenen Sinnhaftigkeit der Welt durcheinanderbringen. Nun muss es feststellen, dass damit vor allem Geld verdient werden soll.

Zum Schluss gilt es daher den Großen, Goldenen LuttaDada-Spezialpreis am Bande für kulturpolitische Gelassenheit zu verleihen, und zwar an die Stadt Erfurt und insbesondere an ihren Kulturdirektor Tobias Knoblich. Denn Erfurt und Knoblich (oder Knoblich und Erfurt) haben sich in diesen Tagen etwas getraut, das sich in dem ganzen Jubiläumsklimbim kaum jemand zu trauen scheint: Sie lassen es bleiben. Sie verzichten. Sie pfeifen drauf. Sie können ohne die ganz große Luther-Sause, machen nur eine kleine Ausstellung zur Luther-Rezeption in den Jahren 1917 (400. Reformationsjubiläum) und 1983 (500. Geburtstag Luthers), die auch nur von April bis Juni 2017 dauert. Ansonsten machen sie nicht mit bei dem, was unser Preisträger, Herr Knoblich, einen Überbietungswettbewerb in Sachen Reformationsjubiläum genannt hat.

Wie außergewöhnlich diese Nicht-Handlung und Nicht-Nachricht ist, wird schon durch die Tatsache belegt, dass sie eine eigene Zeitungmeldung wert ist. Aber anstelle einer knappen Benachrichtigung sollten – so verfügt es das LuttaDada – deutschlandweit ausgiebige Lobeshymnen auf Tobias Knoblich und die Stadt Erfurt gesungen werden. Denn aus diesem Beispiel lässt sich lernen: Man kann Kulturpolitik auch dadurch gestalten, dass man sich einer wesentlichen menschlichen Eigenschaft bedient, nämlich nicht immer nur Dinge anpacken zu müssen, sondern sie auch mal sein lassen zu dürfen. Let it be! Eine solche Einsicht, etwas früher und von ein paar mehr Menschen getroffen, wäre der Qualität des Jubiläumsgeschehens sicherlich zuträglich gewesen.

Lang lebe das LuttaDada!

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